Systemisch denken und führen

Schafe auf einer Almwiese
Schafsystem auf Almwiese (mit schwarzen Schafen)

Momentan sitzt mal wieder jeder im Homeoffice. Das führt dazu, dass sich der Kreis der Kolleg*innen, mit denen man sich regelmäßig austauscht ziemlich zusammenschrumpft. Viele Kolleg*innen, denen ich früher immer mal wieder über den Weg gelaufen bin oder bei denen ich mal eben im Büro vorbeischauen konnte, sind aus meinem Blickfeld verschwunden. Dazu kommt, dass die Dichte der Aufgaben gefühlt zunimmt und außerdem Stellen nicht besetzt sind. All das führt dazu, dass man sich doch sehr auf seine eigene kleine Welt fokussiert und der Blick aufs „Große Ganze“ deutlich schwerer fällt.

Im Folgenden will ich aufzeigen, was die Vorteile davon sind, systemisch zu denken und zu versuchen, den Blick zu heben, um nicht nur im Kleinen besser zu werden.

Systemisch denken und führen

Was bedeutet systemisch überhaupt? Eine ganz klar umrissene Definition gibt es nicht. Im Allgemeinen versteht man darunter aber, ein System zu betrachten. Das kann eine Gruppe von Personen sein, eine Firma, oder das komplette Umfeld einer Person — Beruflich und privat. Wie man die Systemgrenzen zieht, ist abhängig vom Thema, das man betrachtet. Es gibt zum Beispiel Themen, die nur das berufliche Umfeld betreffen, welche, die nur im privaten relevant sind und welche, die beide Felder betreffen. Genauso kann manchmal nur die eigene Abteilung betroffen sein oder gar nur eine Führungskraft und ihre direkten Mitarbeiter*innen. In anderen Fällen ist die ganze Firma betroffen oder sogar das Umfeld der Firma.

Es ist immer sinnvoll, am Anfang der Problembetrachtung darüber nachzudenken, wer Teil des Systems ist. Ein (selbstverständlich konstruiertes!😉) Beispiel: Eine IT-Abteilung stellt den Bedarf nach einem Ticketsystem fest, um Kundenanfragen, Change-Requests und Vorfälle effizient bearbeiten zu können. Sie entscheiden sich für ein Tool und nehmen es in Betrieb. Eins der ersten Tickets, das darauf eingeht, ist, dass der Vertrieb Unterstützung bei der Einführung ihres neuen Ticketsystems für Kundenanfragen benötigt. Blöd gelaufen. Selbstverständlich ist es ein anderes, da beide Bereiche nichts von den jeweiligen Bestrebungen „der anderen“ wussten. Nun zahlen beide höhere Preise für eine kleinere Lizenzstaffel, die Tickets können nicht ohne manuelle Übertragung oder aufwändige Erstellung einer Schnittstelle übergeben werden und zwei Systeme müssen administriert und betrieben werden.

Hätte man miteinander gesprochen, wäre man vermutlich zu dem Schluss gekommen, dass es gar nicht so leicht ist ein Ticketsystem zu finden, das die Anforderungen beider Bereiche erfüllt. Beide hätten vielleicht kleinere Abstriche machen und ihre Prozesse anpassen müssen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass sie sich für ein gemeinsames System entschieden hätten, da die Vorteile für die gesamte Firma überwiegen. Die Effizienz wäre massiv gestiegen.

Systemisch zu denken, führt meistens zu tragfähigeren Entscheidungen, die dann auch länger halten. Man denkt weiter, schließt mehr Faktoren in die Berechnung ein und wird so seltener überrascht.

Systemisch bedeutet nicht Selbstaufgabe

Bedeutet systemisch zu denken und zu handeln, dass man seine eigenen Bedürfnisse hintanstellt und nur zum Wohle der Gruppe handelt? Zum Glück ist das nicht so. Auch hier habe ich wieder ein Beispiel:

Eine Mutter oder ein Vater vernachlässigt massiv ihre/seine eigenen Bedürfnisse, damit die Kinder glücklich sind und alles im Familienalltag läuft und flutscht. Dabei kommt der Schlaf, die Entspannung und der Ausgleich viel zu kurz. Schließlich geht es ja darum, dass die Kinder gut schlafen, Spaß haben und keinem etwas materielles fehlt.

Kurz und mittelfristig gesehen, läuft das System. Die Kinder sind „glücklich“ und alle sind immer pünktlich im Kindergarten / bei der Musikstunde / im Sport. Meistens sind die Eltern auch nur mittelmäßig gestresst und müssen ihre Kinder nur ganz selten anschreien, weil alles nicht schnell genug geht.

Nach ein paar Jahren erleidet das Elternteil, das gemeint hat, die eigenen Bedürfnisse seien nicht wichtig, einen Herzinfarkt und fällt für mehrere Monate aus. Das System bricht zusammen.

Das beste für dieses System wäre gewesen, wenn alle Mitglieder verstanden hätten, dass das langfristige Funktionieren abhängig von der Gesundheit und dem Wohlbefinden jeder einzelnen Person ist.

Komplexität managen

Größere Systeme mit vielen Personen erreichen schnell eine Komplexität, die keiner mehr überblicken kann. (Oft erreichen ja schon einzelne Personen eine Komplexität, die nicht zu überblicken ist… 😉)

Die erste Einsicht, die hier hilft, ist die, dass komplexe Systeme nicht komplett kontrolliert werden können. Es gibt aber ein paar Prinzipien, die den Umgang mit Komplexität erleichtern.

  • Reduzierung der Komplexität, wann immer das möglich ist. Oft ist es nicht einfach, aber man sollte jede Gelegenheit ergreifen, die sich ergibt.
  • Viele Blickwinkel. Wenn man ein komplexes System nur von einer Seite betrachtet, dann übersieht man was. Garantiert.
  • Kurze Iterationen. Lieber einmal zu oft die Situation bewerten als einmal zu wenig.
  • Es gibt nicht eine Lösung, die für alle Ewigkeit passt. Lösungen sind immer abhängig vom Kontext und der ändert sich.
  • Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Zumindest sind sie selten.

Das Thema Komplexität soll mir demnächst einen eigenen Blogpost wert sein.

Systemisches Denken fördern

Es gibt ein paar Erfolgsfaktoren, die es erleichtern, systemisch zu denken.

Austausch fördern

Wenn uns Corona etwas gezeigt hat, dann, dass der Austausch an der Kaffeetheke oder der spontane Bürobesuch keine Zeitverschwendung sind. Wer miteinander arbeitet, der sollte auch Zeit in die Pflege von Beziehungen investieren. Am besten kreuz und quer durch die ganze Firma. Mit Kunden, Lieferanten und Projektpartnern. Und nein, nicht nur die Vertriebler, Führungskräfte und Consultants. Alle. Auch die Entwickler*innen, Hausmeister*innen und Innendienstler*innen jeglicher Couleur. Das gibt Einblick in die Gedankenwelt der anderen und man kann besser systemfreundlich agieren.

Druck reduzieren

Wer großen Druck und große Ressourcenknappheit verspürt, der neigt meiner Erfahrung nach dazu, sein lokales System zu optimieren und schnelle, einfache Lösungen zu suchen. Wie wir weiter oben gelernt haben, gibt es für komplexe Probleme aber keine einfachen Lösungen. Wer Ressourcenreichtum spürt, ist deutlich aufgeschlossener für systemisches Denken.

Verantwortung delegieren

Wenn alle Verantwortung „beim Chef“ liegt, dann ist vorprogrammiert, dass Dinge übersehen werden. Und wenn Chef noch so schlau ist, irgendwann ist auch seine Grenze erreicht. Wenn jedoch die Verantwortung gut verteilt ist und jeder nur ein bisschen für sein System mitdenkt, dann kommt es deutlich seltener vor, dass bei Entscheidungen Aspekte übersehen werden.

Offenheit und Lernbereitschaft

Den wichtigsten Faktor habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Offenheit und Lernbereitschaft sind essentiell. Nur wer bereit ist, die Perspektive zu wechseln und sich in andere Personen und Bereiche hineinzuversetzen, der kann überhaupt systemisch führen. Was hilft dem Vertrieb beim Kunden? Welche Tools braucht das Controlling? Was braucht der eigene Bereich? Wo gibt es Synergieeffekte?

Systemisch zu denken ist dabei nicht dem „Upper Management“ vorbehalten. Jeder darf darüber nachdenken, warum „die anderen“ so handeln, wie sie es tun. Hinter jeder Handlung steckt eine positive Absicht, die man vielleicht nur erkennt, wenn man den Blickwinkel der anderen Person einnimmt.

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