
Manchmal ist es echt frustrierend Stellen auszuschreiben. Alle, die sich bewerben, passen irgendwie nicht und Du bist der Verzweiflung nahe. Vielleicht lohnt es sich dann, nochmal genau hinzuschauen.
Meiner Erfahrung nach, sind Mitarbeiter*innen mit Lebensläufen, die nicht linear verlaufen und Lücken, Knicke oder Brüche aufweisen oft motivierter, flexibler und resilienter als solche, deren (Berufs-)Leben „in geordneten Bahnen“ verlaufen ist.
Beispiele
- Quereinsteiger*innen können immer Erfahrungen aus ihrer vorherigen Karriere einbringen. Sie sind oft sehr motiviert neues zu lernen, sich zu beweisen und einen Beitrag zu leisten. Zusätzlich wirken sich Neuanfänge positiv auf die Resilienz aus. Wenn man weiß, dass man auch erfolgreich sein kann, wenn man etwas neues beginnt, gibt das im Allgemeinen Gelassenheit.
- Reisen bildet, sagt man ja. Wer sich ein Sabattical gegönnt hat oder nach der Schule/Ausbildung/Uni eine große Reise unternommen hat, konnte es bestimmt nicht verhindern, dass sich ihr Horizont erweitert hat.
- Immer diese Mitarbeiter*innen um die 30, die meinen Kinder bekommen zu müssen. Echt nervig, oder? Aus meiner Sicht ist „Elternzeit“ eine Qualifikation. Viele Eltern können Verantwortung übernehmen und werden dazu gezwungen, ihr Zeitmanagement zu verbessern. Und auch längere Elternzeiten sind wertvoll. Für die Mitarbeiter*innen, ihre Kinder und für die Gesellschaft. Kinder verursachen Perspektivwechsel. Kann sein, dass es ein bisschen Weiterbildung braucht, wenn die Mitarbeiter*innen zurückkommen. Aber der Aufwand lohnt sich!
- Das gilt insbesondere für Frauen. Die Frau Anfang 30, die sich beworben hat, hat vielleicht „zugegeben“ dass sie nicht ledig ist? Wenn sie qualifiziert ist, stell sie ein! Auch wenn Du irgendwann eine Elternzeitvertretung suchen musst und sie vielleicht bei der Rückkehr etwas unterstützen musst. Ich habe es selten erlebt, dass eine Frau, die Mama geworden ist, einen schlechteren Job gemacht hat als vorher. Ganz im Gegenteil! Als Mama bist Du verloren, wenn Du nicht bis zu einem gewissen Grad effizient bist…
- Nach etwas rumdrucksen erklärt die potentielle zukünftige Mitarbeiter*in eine Lücke im Lebenslauf mit einer überstandenen Krankheit. Wir erfragen natürlich keine Details zur Krankheit. Aber über den Umgang damit sollte man schon kurz reden. Hier lässt sich herausfinden, ob die überstandene Krankheit zu erhöhter Resilienz geführt hat. Nicht unwahrscheinlich. Und wenn die Mitarbeiter*in wieder erkrankt? Dann suchst Du halt eine Vertretung. Dafür hast Du voher eine motivierte Mitarbeiter*in und jemand hat eine Chance erhalten.
- Die Bewerber*in hat häufige Jobwechsel im Lebenslauf. Hier ist schon ein bisschen Vorsicht geboten. Wirf erst mal einen Blick darauf, wie lange sie durchschnittlich in einem Job geblieben ist. Nur ein paar Monate? Schlecht. Mindestens ein bis zwei Jahre? Mal ehrlich, wie viele Mitarbeiter*innen sind über viele Jahre zufrieden mit dem gleichen Job? Geh davon aus, dass die Kandidat*in über einen reichen Erfahrungsschatz verfügt und die Einarbeitung nicht sehr lange dauern wird, weil sie die Fähigkeit hat, sich auf neue Situationen einzustellen. Und wenn Du als Chef*in wirklich so gut bist, wie Du denkst ?, dann bleibt die Mitarbeiter*in vielleicht länger.
- Auch Mitarbeiter*innen, die selten den Arbeitgeber oder Job gewechselt haben, haben oft Eigenschaften, die aus Sicht einer Führungskraft sehr hilfreich sein können. Sie sind loyal und zuverlässig. Vielleicht der neue Fels in der Brandung in Deinem Team. Dafür sind sie vielleicht etwas anfälliger, wenn große Veränderungen anstehen. Aber das kann man ja als Vorgesetzte*r gut begleiten.
- Meistens wirst Du nicht davon erfahren, aber Mitarbeitende, die eine Psychotherapie hinter sich haben, sind oft reflektierter und stabiler also solche, die die Therapie nur nötig hätten.
Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichen Lebensläufen ergeben ein diverses Team, das für alle Herausforderungen gerüstet ist.
Übernimm Verantwortung
Unterm Strich will ich hier dafür plädieren, als Führungskraft Verantwortung zu übernehmen. Für Dein Team, für Deine Firma, aber auch für die Gesellschaft. Kann sein, dass die oben vorgestellten potentiellen Mitarbeiter*innen ein bisschen (oder auch ein bisschen mehr) Führungsarbeit verursachen. Aber das ist ja wohl unser Job.
Auch über Bewerber*innen ohne offensichtliche Lücken im Lebenslauf, kannst Du im Bewerbungsprozess nicht alles herausfinden. Sind die Lücken vielleicht nur kaschiert? Verschweigt Dir die Bewerber*in etwas? Du kannst davon ausgehen, dass sich jede*r im Bewerbungsprozess möglichst positiv darstellt. Viele Dinge sind in unserer Gesellschaft zu Unrecht schambehaftet. Und auch während eines Beschäftigungsverhältnisses wird es Dinge im Leben der Mitarbeiter*innen geben, die nicht dem Plan entsprechen.
Gerade deshalb ist es besonders wertvoll, wenn Menschen offen mit ihren Lücken im Lebenslauf umgehen und erklären können, was sie daraus gelernt haben.
Mal angenommen, Dein Chef oder Deine Personalabteilung ist gegen dieses Vorgehen und vertritt die Meinung, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Kennst Du den Spruch „Change it, love it or leave it“? Ich würde mich mit so einer Kultur nicht abfinden und entweder versuchen sie zu verändern oder gehen. „love it“ ist hier für mich keine Alternative.
Warum ich über dieses Thema schreibe
Ganz zum Schluss will ich mich noch outen. Ich bin selbst ein Beispiel mit Findungsphase, Studienfachwechsel, Krankheit, Unfall und so weiter im Lebenslauf. Und gerade weil ich diese Erfahrungen gemacht habe, bin ich (meistens 😉 ) ein guter Mitarbeiter, der sich für seine Firma und seine Mitarbeiter*innen einsetzt und ein Chef, der ein diverses Team zu schätzen weiß. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie sehr es einen pusht, wenn man Chancen und Unterstützung erhält. An dieser Stelle nochmal danke an die Personen, die mich damals eingestellt haben und alle Chefs, die ich bisher hatte und habe.
Mein Vorstellungsgespräch in meiner aktuellen Firma fand ich damals übrigens grauenhaft und viel zu lang. Aber die beiden wollten einfach rausfinden, was ich kann und wer ich bin. Im weiteren Verlauf meiner Karriere haben sie mich jedenfalls massiv unterstützt.