Introvertiert

Reiter (introvertiert) auf Pferd im Gelände
Mit Introvertierten kann man Pferde stehlen

Ich bin bestimmt nicht die einzige introvertierte Führungskraft oder der einzige introvertierte Mitarbeiter in einem Technologieunternehmen. Und ich bin sicher nicht der einzige, der damit zu kämpfen hat(te). Um Dir, liebe*r introvertierte*r Kolleg*in das Leben etwas leichter zu machen, kannst Du im Folgenden ein paar Dinge lesen, die sich für Introvertierte bewähren. Wenn Du Dich eher als extrovertiert siehst, lies trotzdem weiter. Es wird Dir helfen, Deine ruhigeren, introvertierten Kolleg*innen zu verstehen.

Wenn Du Dir nicht sicher bist, ob Du introvertiert oder extrovertiert bist, dann schau einfach mal, ob Du Dich in den Eigenschaften und Verhaltensweisen, die ich im Folgenden beschreibe wiederfindest.

Das Pferd auf dem Bild war übrigens nicht gestohlen. Nur geliehen.

Definition

Introvertierte Personen wenden ihre Energie und Aufmerksamkeit stärker auf ihr Innenleben als Extrovertierte. Sie brauchen nicht unbedingt viel Gesellschaft und fühlen sich in größeren Gruppen (ihnen unbekannter Menschen) eher unwohl. Sie neigen dazu, zu beobachten und sich in Diskussionen nicht so aktiv einzubringen.

Ohne Zeit für sich selbst fühlt sich eine introvertierte Person unausgeglichen und ausgelaugt. Auf Partys oder auf großen Veranstaltungen ist sie seltener anzutreffen. Dafür bevorzugt sie ruhige Orte und Zeit allein oder mit wenigen Freunden.

Oft aber nicht immer geht Introversion mit Schüchternheit einher. Auch haben Introvertierte eher ein Problem damit, vor großen, ihnen unbekannten Gruppen zu sprechen.

Die Skala zwischen introvertiert und extrovertiert ist fließend. Es gibt viele Menschen, die Eigenschaften beider Persönlichkeitstypen vereinen und bei denen man keine klare Tendenz feststellen kann.

Auch gibt es sehr wohl zum Beispiel nicht schüchterne Personen, die sich sonst klar als introvertiert sehen.

Aus einer introvertierten Person wird nie eine extrovertierte werden. Die Eigenschaft ist organisch angelegt und kann nicht abtrainiert werden. Man kann als introvertierte Person extrovertierte Verhaltensweisen lernen, sie kosten aber immer deutlich mehr Energie.

Typische Eigenschaften introvertierter Personen

Im Folgenden ein paar Eigenschaften, die introvertierten Personen typischerweise zugeschrieben werden. Was aber nicht bedeutet, dass jede*r Introvertierte*r sie in gleicher oder auch nur hoher Ausprägung besitzt. Ich konzentriere mich mal etwas auf die positiven Eigenschaften 😉, ohne die negativen komplett zu verschweigen.

Gute Zuhörer

Introvertierte Personen können oft gut zuhören. Sie haben feine Antennen für Zwischentöne und sind oft nicht ganz so schnell darin zu bewerten und die Erwiderung schon auf den Lippen zu haben, bevor das Gegenüber ausgesprochen hat. Oberflächlichkeiten sind nicht ihr Ding. Ein tiefes Verständnis ist ihnen wichtig. Auf Smalltalk können sie verzichten.

Zuverlässig

Viele Introvertierte sind zuverlässig. Sie möchten ihr Gegenüber nicht enttäuschen und legen deshalb großen Wert auf Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Integrität. Mit Rückschlägen umzugehen müssen sie jedoch lernen. Wenn der Plan mal nicht aufgeht, führt das oft zu mehr Stress als bei extrovertierten Kolleg*innen.

Feinfühlig

In der Kommunikation mit anderen und in Gruppen haben Introvertierte ein feines Gespür für Stimmungen und die Zustände ihrer Gegenüber. Das ist praktisch, weil dadurch Missverständnisse oft verhindert werden können. Auf der anderen Seite sind Introvertierte dann aber auch manchmal eher überempfindlich und fassen extrovertiert schnell (und vielleicht unbedacht…) geäußerte Dinge als Angriff oder Beleidigung auf.

Schwer zu durchdringen

Dass Introvertierte geheimnisvoll sind, ist vielleicht zu viel gesagt. Zumindest sind sie aber schwerer zu durchdringen. Man muss sie erst gut kennenlernen, bevor sie etwas aus sich herausgehen und Dinge von sich preisgeben. Wenn man sich aber auf eine*n Introvertierte*n einlässt und ihr auch ihren Raum lässt, dann kann man eine*n zuverlässige*n Freund*in zum Pferde stehlen gewinnen. Wenn man im Berufsalltag oft in ähnlichen Teamzusammensetzungen unterwegs ist und sich kennt, dann ist das für Introvertierte ein ideales Umfeld.

Kritisch

Introvertierte Personen neigen zur eingehenden Analyse. Da sie Dinge von allen Seiten beleuchten, finden sie oft auch viele Schwachstellen und Fehler. Das sollte man sich zu Nutze machen, um Unzulänglichkeiten in Plänen aufzudecken. Die Kehrseite der Medaille ist, dass einige Introvertierte durch die Kultivierung dieser Fähigkeit zum Pessimismus neigen.

Introversion im Arbeitsleben

Der menschlichen Natur entspricht, dass Lautes eher wahrgenommen wird als Leises. Das führt meiner Erfahrung nach dazu, dass es Introvertierte im Arbeitsleben ein bisschen schwerer haben. Es ist oft nachgewiesen und entspricht auch meiner Erfahrung, dass Menschen, die häufig auf sich aufmerksam machen, schneller vorankommen, eher befördert werden, Gehaltserhöhungen bekommen oder in spannenden Projekten arbeiten.

Es ist aus meiner Sicht Aufgabe einer guten Führungskraft, diese Effekte zu verstehen und nach Möglichkeit abzumildern. Introversion ist keine Behinderung oder Einschränkung, sondern eine Eigenschaft, die man sich sehr gut zu Nutze machen kann.

Wenn man sich seiner Eigenschaft, sowie seiner Stärken und Schwächen bewusst ist, kann man aber auch als Introvertierte*r sehr gut karrieremäßig vorwärtskommen.

Meetings

In Meetings spürt jemand der introvertiert ist, meist nicht den Drang, zu allem seinen Senf dazugeben zu müssen. Er beobachtet, hört zu und steuert erst etwas bei, wenn er meint, dass sein Beitrag wirklich wichtig und gut platziert ist. Außer… Er ist genervt von den „Beiträgen“ der Extrovertierten oder einfach schüchtern. Dann hilft es, wenn die Moderator*in darauf achtet und die introvertierten Kolleg*innen zu Beiträgen animiert. Grundsätzlich sind große Gruppen für Introvertierte anstrengend, insbesondere, wenn sie aus ihnen unbekannten Personen bestehen.

Videokonferenzen

Videokonferenzen sind für Introvertierte noch ein bisschen anstrengender als für Extrovertierte. Da sie für ihr gewohntes Vorgehen zur Analyse und Einschätzung der Situation auch auf die Interpretation der Körpersprache angewiesen sind, sind briefmarkengroße Videobilder auf einem Tablet für sie eine große Herausforderung. Das gilt für jeden, aber für Introvertierte im Besonderen: Je besser die Tools, desto weniger ausgelaugt fühlt sich der Meeting-Teilnehmer.

Grundsätzlich sollten die Kameras an sein, damit man zumindest die Chance hat, die Mimik und Gestik der anderen Teilnehmer*innen zu interpretieren. Ich bin aber der Meinung, dass sich jeder auch mal ein paar unbeobachtete Minuten gönnen kann, so lange das nicht überhand nimmt. Videokonferenzen sind anstrengend genug.

Auch bieten Videokonferenzen gute Möglichkeiten, sich zurückzuziehen und weniger zu beteiligen. Wenn auf die Beiträge der Introvertierten Wert gelegt wird (was ich empfehle 😉), dann ist die Moderatorin besonders gefragt.

Sprechen vor Gruppen

Introvertierte fühlen sich oft nicht wohl dabei, vor Gruppen zu sprechen. Das ist jedoch eins der Dinge, die man als Introvertierte*r ganz gut lernen kann. Mein Vater, der sicher stark introvertiert ist, ohne darüber jemals aktiv nachgedacht zu haben, ist Professor. Diese Berufswahl hatte zur Folge, dass es sich nicht vermeiden ließ, vor ausgesprochen großen Gruppen von Studenten oder Kollegen zu sprechen. Vorträge frei zu halten fiel ihm nie leicht. Seine Strategie war, jede Vorlesung und jeden Fachvortrag penibel vorzubereiten und auswendig zu lernen (!!!). Es ging nur um die Sicherheit und das gute Gefühl, perfekt vorbereitet zu sein. Total souverän und spontan auf Fragen zu antworten war nie ein Problem. Ich durfte ihn ein paar Mal bei Vorträgen erleben und man hätte es nicht gemerkt, wenn man es nicht wusste.

Für den durchschnittlichen Introvertierten ist diese Strategie wahrscheinlich zu extrem. Es reicht, sich ein paar Gedanken zu machen:

  • Vor wem werde ich sprechen?
  • Welche Stimmung erwarte ich?
  • Ist meine Vorbereitung ausreichend?
  • Welche Fragen könnten kommen?
  • Funktioniert die Technik?
  • Bin ich fit und ausgeschlafen?

Es lohnt sich, den bestmöglichen Fall, den schlechtesten Fall und den wahrscheinlichsten Fall in Gedanken durchzuspielen. Wie läuft es, wenn alles funktioniert? Was mache ich bei technischem oder menschlichem Versagen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eins von beidem eintritt und wie gehe ich mit kleineren Problemchen um? Fachlich fest im Sattel und gut vorbereitet, gelingt die Aufgabe vor Gruppen zu sprechen meist ganz gut. Übung macht den Meister.

Und wenn es nicht besser wird und man sich permanent unwohl damit fühlt: Es muss auch nicht jeder vor Gruppen sprechen. Man kann „einfach“ Personen suchen, die das können und gern machen.

Verhandlungen

Introvertierte mit ausreichend Selbstbewusstsein, können hervorragende Verhandlungsführer sein. Sie verstehen mit großer Wahrscheinlichkeit sehr schnell, was die Gegenseite tatsächlich will und können Reaktionen deuten. Ihr Stil ist meist etwas ruhiger, weniger aggressiv und zuhörender als von Extrovertierten.

Wenn man als Extrovertierte*r Verhandlungsführer*in die Möglichkeit hat, eine*n Introvertierte*n als Beobachter und Berater einzubinden, dann kann das ein extrem schlagkräftiges Team ergeben. Manchmal schadet ein etwas aggressiveres Vorgehen nicht bei Verhandlungen. Es ist aber dennoch wichtig, Zwischentöne mitzubekommen und die Reaktionen der Gegenseite korrekt zu interpretieren.

Veranstaltungen

Dort sind Introvertierte seltener anzutreffen. Man sollte ihnen diese Freiheit lassen, so lange sie sich nicht komplett in sich zurückziehen. Sie leisten ihren Beitrag auf andere Weise und breites Socializing ist für sie nicht wertvoll, sondern nur anstrengend.

Schriftlich vs. mündlich

Viele Introvertierte kommunizieren lieber schriftlich als mündlich, weil sie so einfach mehr Zeit haben, sich zu überlegen, wie sie mit wem kommunizieren.

Introvertierte Führungskräfte

Wie kann es denn nun sein, dass introvertierte Personen überhaupt zu Führungskräften werden? Wie gesagt, Introvertierte haben Eigenschaften, die man als Führungskraft äußerst gut gebrauchen kann. Gewisse Verhaltensweisen, die allgemein für wichtig gehalten werden, haben die meisten introvertierten Führungskräfte dann wohl irgendwann gelernt und leben sie mit höherem Energieaufwand als ihre extrovertierten Kollegen.

Gespür für Menschen

In den meisten Führungsjobs ist ein gewisses Gespür für Menschen hilfreich bis unerlässlich. Introvertierte haben das oft in höherer Ausprägung und tun sich deshalb leichter, ihren Mitarbeiter*innen zuzuhören und herauszufinden, was sie brauchen, um ihren Job auf exzellente Weise erledigen zu können.

Integrität und Zuverlässigkeit

Introvertierte versuchen sich selbst und anderen gegenüber zuverlässig zu sein. Die wenigsten werden behaupten, dass man als Chef nicht tun muss, was man sagt. An einigen Stellen ist Integrität, Zuverlässigkeit und gegebenenfalls Verschwiegenheit wichtiger als andere Eigenschaften. Kein Wunder also, dass Introvertierte dort landen.

Analysefähigkeit und unkonventionelle Lösungen

Introvertierte können Probleme von allen Seiten beleuchten und finden durch ihre ausgeprägte Analysefähigkeit oft Lösungen, auf die andere nicht kommen. Wenn man also nicht so darauf steht, immer nur die selben Trampelpfade zu benutzen, dann tut man gut daran, den einen oder anderen Introvertierten im Führungsteam zu haben. 🙂

Unterm Strich

Zwischen introvertiert und extrovertiert existiert ein Kontinuum und nicht alle Personen, die sich der einen oder der anderen Seite zuordnen, haben alle Eigenschaften in gleicher Ausprägung. So gibt es Extrovertierte, die zuhören können und Introvertierte Trampel, die nicht zu Empathie fähig sind. Alles ist Statistik. Die Kunst ist, die richtigen Personen an die richtigen Stellen zu setzen, um maximale Wirksamkeit zu erzielen. Was oft nicht dauerhaft funktioniert ist, wenn jemand gegen seine Natur ein einer Stelle eingesetzt wird, die ihm nicht liegt. Ob das aus eigenem Antrieb passiert, oder auf Veranlassung einer Führungskraft ist erst mal egal. Bist Du an der richtigen Stelle? Kannst Du die meiste Zeit so agieren, dass Du mit Dir im Einklang bist? Oder überwiegen die Dinge, die Deiner Natur widersprechen? Oft kann man seine Tätigkeit in einem gewissen Rahmen gestalten, so dass es leichter wird. Ein*e gute*r Chef*in ermöglicht das ihren Mitarbeiter*innen.

Buchtipp

Mir hat das Buch „Still – Die Kraft der Introvertierten“ von Susan Cain sehr dabei geholfen zu verstehen, was Introversion bedeutet und dass ich nicht „komisch“ bin, sondern eben nur introvertiert in einer von Extrovertierten geprägten (Arbeits-)Welt. Dieses Werk kann ich zumindest jedem Introvertierten wärmstens empfehlen.

Angebot

Wenn Du introvertiert bist und damit im Berufsalltag zu kämpfen hast, kann ich Dich sehr gerne darin unterstützen, Deine Arbeit so zu gestalten, dass es für Dich leicht(er) wird. Sprich mich gerne an für ein kostenloses Erstgespräch 🙂

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