
Alles was Du Dir wünschst, ist auf der anderen Seite der Angst
Jack Canfield
In letzter Zeit fällt mir zunehmend auf, wie viel Energie für Ängste aufgewendet wird. Bei mir, bei meinen Kindern, im Unternehmen. Im Folgenden ein paar Beobachtungen und ein paar Tipps für eine (möglichst) angstfreie Arbeitsumgebung.
Was ist Angst?
Erst mal ist Angst ein physiologischer Schutzmechanismus, der uns hilft, Gefahren zu begegnen. In Zeiten der Gefahr durch Säbelzahntiger, Wikingerhorden, Bombenangriffen oder Pandemien sichert sie unser Überleben, indem sie Energie für Kampf oder Flucht bereitstellt.
Durch Angst kommt es zu körperlichen Reaktionen. Sie führt zu Stress und zur Ausschüttung von Adrenalin. Dadurch kommt es zu einer Sympathikuserregung. Diese führt wiederum zu einer Steigerung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, Energiebereitstellung in den Muskeln, erhöhter Aufmerksamkeit, Verminderung der Verdauungstätigkeit und so weiter. Bei dauerhafter Anspannung, Angst oder häufigen Angstreaktionen kommt es zur vermehrten Ausschüttung von Cortisol, das den Blutdruck und das Immunsystem beeinflusst. Dadurch kann es auf lange Sicht zu gesundheitlichen Problemen kommen. Angst und Stress haben sehr ähnliche Auswirkungen auf uns.
Angst verändert außerdem in hohem Maße unsere Denkprozesse und unser Verhalten.
- Wir vermeiden das, wovor wir Angst haben.
- Wir überspielen als peinlich empfundenes Angstverhalten.
- Wir verdrängen als hinderlich empfundene Ängste.
- Wir übertreiben Sicherheitsvorkehrungen.
- Wir generalisieren Ängste als normal — Hat ja schließlich jeder.
- Wir nehmen Ängste als emotionale Befindlichkeiten an und stellen uns als furchtlos dar.
Wenn wir Ängste bewältigen, bemühen wir uns um ein der Realität angemessenes Maß davon.
Eine gewisse Disposition zur Angst ist uns angeboren. Das heißt aber nicht, dass an unserem Angstverhalten nichts veränderbar ist. Ganz im Gegenteil. Ängste sind jederzeit erlern- und verlernbar. Das bedeutet nicht, dass es einfach ist, sich Angstverhalten abzutrainieren. Es kostet oft sogar erhebliche Anstrengung. Aber die gute Nachricht ist, dass es jederzeit möglich ist.
Ausprägungen und Auswirkungen
Angst äußert sich im Alltag ganz unterschiedlich. So führt die Angst davor, an Corona zu erkranken hoffentlich nicht zu so einer heftigen Reaktion wie ein Dobermann, der bellend und Zähne fletschend auf einen zu gerannt kommt.
Nichtsdestoweniger kann auch latente, unterschwellige Angst große Auswirkungen haben. Im Führungsalltag fällt mir sofort die Angst ein, für Compliance-Verstöße belangt zu werden. Sie führt manchmal zu “Cover Your Ass“-Verhalten. Das ist ein der Höhe des Risikos nicht angemessenen Schaffen von Vorsichtsmaßnahmen. Das kostet natürlich Geld, Zeit und Nerven.
Ähnliches Verhalten zeigt sich, wenn Mitarbeiter Angst haben, Fehler zu machen. Sie werden übervorsichtig. Sie sind nicht bereit Risiken einzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Auch das ist einer produktiven Arbeitsumgebung und einem funktionierenden Team nicht zuträglich.
Auch die Angst den Job zu verlieren und die Familie nicht mehr ernähren zu können, spielt eine große Rolle. Oft auch in der etwas geringeren Ausprägung der Angst den Lebensstil nicht halten zu können. Begründet oder nicht, damit lässt sich so manches Verhalten erklären, das am Schluss Geld kostet und gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Zum Beispiel führt diese Angst oft dazu, dass sich ein Mitarbeiter nicht traut, dem/der Vorgesetzten ehrliches und konstruktives Feedback zu geben. Dinge, die die Beziehung belasten, werden nicht angesprochen. Der Vorgesetzte lebt in dem Glauben, dass alles prima ist, der Mitarbeiter frisst seinen Ärger in sich hinein. Dinge, die sich vielleicht einfach ändern ließen, werden der Führungskraft nicht bewusst.
Führungskräfte, die einen autoritären Führungsstil pflegen, fördern dieses Angstverhalten meiner Erfahrung nach erheblich. Sie schneiden sich damit von vielen Chancen ab, sich selbst und die Beziehungen zu ihren Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Eine sehr häufig anzutreffende Angst, ist die vor Veränderungen. Selbst wenn nicht alles perfekt ist am Status quo, man bevorzugt den Teufel den man kennt. Man hat sich eingerichtet und abgefunden. Nun kommt der Chef daher und will etwas verändern. Ein neues Tool einführen zum Beispiel. Kann ich damit umgehen? Das bedeutet ja erst mal massiv Mehrarbeit! Und überhaupt. Sind meine personenbezogenen Daten bei diesem Anbieter sicher? Ich will das nicht. Das alte Tool funktioniert doch.
Viele Menschen leiden auch an einer generellen Zukunftsangst und erwarten, dass alles schlechter wird. Und das obwohl wir noch nie so lang gelebt haben, es noch nie so wenige bewaffnete Konflikte gab, die Anzahl der Verbrechen und Verkehrstoten noch nie so niedrig war wie heute. Der Grund dafür ist die Konzentration der Medien auf negative Ereignisse. Worauf man seinen Fokus richtet, das bekommt man.
Wo Ängste herkommen, ist aber nicht immer offensichtlich. Manchmal werden sie von uns Führungskräften ausgelöst, indem wir ungut mit Fehlern umgehen und die Übernahme von Verantwortung nicht fördern. Manchmal sind sie aber auch in der Kindheit, der Ursprungsfamilie oder anderen früheren Erfahrungen begründet. Wo auch immer sie aber herkommen und wann auch immer sie entstanden sind — Man kann da was machen.
Umgang mit Ängsten
Im Alltag sollte man dann dafür sorgen, dass die Arbeitsumgebung die Entstehung von Ängsten nicht fördert und bestehende Ängste vermindert. Führen durch Angst oder Druck ist etwas, das die Menschheit hoffentlich bald hinter sich gelassen hat.
Um Dein Führungsverhalten zu reflektieren, habe ich hier ein paar Fragen, die Du Dir stellen kannst. Sie sollen Dich zum Nachdenken anregen. Musterlösung gibt es keine.
- Wie gehst Du mit Feedback oder gar mit Kritik um?
- Kannst Du es nehmen?
- Kannst Du Dich dafür bedanken?
- Was fühlst Du, wenn Du kritisiert wirst?
- Wie ist Dein Umgang mit Fehlern? Mit Deinen eigenen und mit denen Deiner Mitarbeiter*innen?
- Interessierst Du Dich dafür, den Schuldigen zu identifizieren?
- Würdest Du sagen, dass Du auf Augenhöhe führst?
- Hast Du Vertrauen in Deine Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen?
- Wie gehst Du mit Veränderungen um?
Nimm Dir einen Moment und denke über die Antworten nach, bevor Du weiterliest.
Wahrscheinlich ahnst Du schon, worauf die Fragen hinauslaufen. Der Umgang mit Feedback, Kritik und Fehlern ist ein sehr wichtiger Faktor. Um Probleme mit Angst zu mindern, ist es wichtig, dass Mitarbeiter*innen Fehler und Probleme ansprechen können. Sie dürfen nicht vermittelt bekommen, dass ihnen der Kopf abgerissen wird, wenn sie mal was falsch machen. Fehler sind Chancen etwas zu lernen.
Wenn der Chef immer einen roten Kopf kriegt und anfängt mit den Zähnen zu knirschen, wenn man ihm Feedback gibt oder gar wagt ihn zu kritisieren, dann führt das sicher nicht dazu, dass Mitarbeiter*innen gerne mit Verbesserungsvorschlägen kommen. Auch für Mitarbeiter*innen gelten natürlich die Feedbackregeln und auch ein*e Chef*in darf mal nicht bereit sein, welches anzunehmen. Aber meistens sollte er/sie es schon sein. Aus meiner Sicht darf man eine*m*r guten Chef*in alles sagen. Auf respektvolle und wohlwollende Weise versteht sich.
Vertrauen ist ein entscheidender Faktor um Ängste zu verhindern. Wenn man vermittelt bekommt, dass der/die Vorgesetzte an einen glaubt, wird alles viel leichter und die Angst zu versagen tritt in den Hintergrund. Ebenso ist das Selbstvertrauen wichtig. Wer an seine Fähigkeiten glaubt, der muss sich nicht vor Überforderung fürchten.
Auch die eigene Fähigkeit zu vertrauen und das eigene Menschenbild spielt eine Rolle. Ist die Konzernmutter der böse “Overlord“ oder die wohlmeinende Mama? Sitzt der Chef auf dem Geldsack und will verhindern, dass ich ein gutes Gehalt habe, oder holt er das beste für mich raus? Sehe ich jeweils mehr Hinweise für das eine oder für das andere? Das hängt teilweise schon erheblich von der eigenen Einstellung ab. Als Chef*in kann man den Aufmerksamkeitsfokus seiner Mitarbeiter*innen aber durchaus ein bisschen steuern. So kann man auf Dauer dafür sorgen, dass die positiven Aspekte mehr in den Vordergrund rücken und das Vertrauen steigt. Die Angst spielt dann nur noch eine Nebenrolle.
Natürlich sind manche Mitarbeiter*innen ängstlicher als andere. Es ist empfehlenswert, diese Eigenschaft bei der Führungsarbeit zu berücksichtigen. Auf Ängste sollte man eingehen und darüber reden. Damit meine ich nicht, sie herunterzuspielen. Das macht sie nämlich im Allgemeinen eher schlechter. Hier ist ein coachender Führungsstil angesagt, der dem/der Mitarbeiter*in Ressourcen, Fähigkeiten und guten Eigenschaften vor Augen führt und sie/ihn dabei unterstützt, Problemen zu begegnen.
Personalauswahl
Ob ein*e potentielle*r neue*r Mitarbeiter*in zu übermäßigen Ängsten neigt, kann man zumindest mal abklopfen. Dafür bieten sich situative Fragen an, die zum Beispiel den Umgang mit Veränderungen beleuchten. Es lohnt sich auch, in Erfahrung zu bringen, ob der/die Kandidat*in zu Absicherungsmaßnahmen neigt. Auch Gründe für den Jobwechsel können hier ein bisschen Aufschluss geben. Ob man allerdings ein komplett realistisches Bild bekommt, ist stark anzuzweifeln. Wie schon erwähnt, neigen wir dazu, uns für Ängste zu schämen und sie herunterzuspielen.
Ich sage auch nicht, dass man Mitarbeiter*innen, die ängstlich sind, grundsätzlich meiden sollte. Ich bin selbst in manchen Situationen nicht der Mutigste und aus mir ist trotzdem was geworden. Aber es sollte einem klar sein, worauf man sich einlässt und die Bereitschaft mitbringen, ängstlichen Mitarbeiter*innen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Mut
Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen
Titel von Rüdiger Nehbergs Autobiografie
Mut ist die Fähigkeit, Ängste zu überwinden und Situationen zu begegnen, aus denen auch Nachteile entstehen können. Wer mutig ist, tut, was er/sie für richtig hält, auch wenn Risiken eingegangen werden müssen. Wenn ich es mir recht überlege, kann man Mut und Risikobereitschaft direkt in einen Topf werfen.
Mut ist wichtig, um Fortschritte zu erzielen. Wer mutig ist, verlässt seine Komfortzone, probiert Neues aus und setzt so den Grundstein für Fortschritt und Weiterentwicklung.
Was mutig ist, ist nur aus der Perspektive der mutigen Person bewertbar. Ein ängstliches Kind, das sich überwindet, etwas aus dem dunklen Keller zu holen, ist mindestens genauso mutig, wie Alex Honnold, der seilfreie Alleinbegehungen der schwierigsten Kletterrouten macht. Natürlich ist die Gesamtleistung nicht zu vergleichen. Die beiden haben schließlich einen erheblich unterschiedlichen Erfahrungshintergrund. Aber die Überwindung, die es gekostet hat, war vielleicht ähnlich und verdient in jedem Fall Anerkennung.
Beide haben etwas gewagt, was ihnen wichtig erscheint, um etwas zu erreichen.
Mut sollte angemessen sein. Wer nicht die Fähigkeiten von Alex Honnold besitzt, der sollte es nicht wagen, derart schwierige Klettereien ohne Seil zu versuchen. Er hingegen weiß ziemlich genau was ihn erwartet. Im Gegensatz zum Kind, für den der Keller eine weitgehend unbekannte Situation ist.
Verantwortung
Du bist für Dein Handeln verantwortlich. Für mutiges Verhalten und für ängstliches. Sei Dir der Auswirkungen bewusst. Behinderst Du mit Deinen Ängsten den Fortschritt und bringst andere Personen in schwierige Situationen? Ermöglichst Du mit Deinem Mut Lernen und Weiterentwicklung?
Wie meistens im Leben, kommt es auf ein gesundes Maß an. Natürlich kann man es auch mit dem Mut ziemlich übertreiben. Finanzielle Risiken einzugehen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit Arbeitsplätze gefährden, ist nicht mehr mutig. Du hast sicher selbst Worte um dieses Verhalten zu beschreiben.
Solltest Du beobachten, dass Dein Verhalten oft in die eine oder die andere Richtung ausschlägt, ist vielleicht Zeit etwas zu verändern. Man kann hier durch Selbstreflexion schon recht weit kommen. Wem das nicht schnell genug geht, der kann sich von einem Coach unterstützen lassen (sofern es sich nicht schon um eine manifestierte Angststörung handelt). Die Überwindung von Ängsten ist ein hervorragendes Thema, das man mit eine*r*m Coach besprechen kann. Keine Angst, das Risiko, dass das Coaching hier keine Wirkung zeigt, ist ziemlich gering. 😉
Wenn Du diesen Artikel interessant fandest, habe ich noch ein paar weiter für Dich:
- Den Umgang mit Risiken beleuchte ich etwas in dem Artikel “Was ich beim Sport fürs Leben gelernt habe“.
- Im Artikel “Entscheide“ findest Du ein paar Gedanken zum Thema Entscheidungen und Change Management.
- Angst kann auf Dauer die psychische Gesundheit stark belasten. Hier findest Du einen Artikel zu diesem Thema.
Danke, dass Du meinen Blog liest 🙂