
Entscheide lieber ungefähr richtig, als genau falsch.
Johann Wolfgang von Goethe
Ein guter Umgang mit Entscheidungen ist die Essenz der Führung. Die Richtung wählen. Zu Entscheidungen stehen. Sich aber auch nicht daran festklammern, wenn sich zeigt, dass man einen falschen Weg gewählt hat. Wie viel Zeit sollte man sich für eine Entscheidung lassen? Wie schnell ist zu schnell? Wie legt man Kriterien für eine Entscheidung fest? Nachdem dieses Thema viele Bücher füllt, maße ich mir nicht an, alle Fragen in einem Blogpost beantworten zu wollen. Ein paar Hinweise aus der Praxis habe ich aber.
Entscheidung vorbereiten
Fundierte Entscheidungen wollen vorbereitet sein. Um gut entscheiden zu können, sind Informationen nötig. Wie viele Informationen? Das hängt von der zu treffenden Entscheidung ab. Ist die Entscheidung wichtig? Geht es zum Beispiel um die Abkündigung eines Produktes? Oder um den Recyclinganteil im Druckerpapier? Die Vorbereitung sollte angemessen sein.
Auch die Persönlichkeit der Entscheider*in beeinflusst den Vorbereitungsaufwand: Werden Entscheidungen lieber aus dem Bauch heraus getroffen? Oder wird versucht rational auf Basis möglichst guter Informationen zu entscheiden? Hier ist (wie so oft im Leben…) ein guter Mittelweg wichtig. Wer gerne intuitiv entscheidet, sollte prüfen, ob nicht auf Grund der Wichtigkeit der Entscheidung ein wenig mehr Aufwand angemessen wäre. Wer hingegen nur auf Basis guter Informationen entscheiden will, der kann ja mal darüber nachdenken, ob der Aufwand diese zu sammeln, wirklich in jedem Fall nötig ist.
Um das Zusammenspiel aus Intuition und rationalem Denken bei Entscheidungen besser zu verstehen, empfehle ich die Lektüre von Daniel Kahnemans Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“.
In jedem Fall ist es gut, möglichst zügig zu entscheiden und Entscheidungen nicht unnötig zu verzögern.
WYSIATI
Kahneman hat auch die Abkürzung WYSIATI geprägt. „What You See Is All There Is“ — Das bedeutet, dass nur die Informationen für eine Entscheidung herangezogen werden können, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auch vorliegen.
WYSIATI hat für die Entscheider*in mehrere Auswirkungen. Wenn man eigentlich unzureichende Informationen vorliegen hat, füllt das Gehirn sozusagen auf um heuristisch entscheiden zu können. Das führt oft zu guten Bauchentscheidungen, manchmal aber auch zu schlechten. Dass eventuell unzureichende Informationen vorliegen könnten, ist einem deshalb oft nicht bewusst. Es sei denn, man tritt aktiv einen Schritt zurück.
Die andere Seite von WYSIATI ist, dass man sich klar machen muss, dass man eben mit den vorliegenden Informationen gearbeitet, und eine Entscheidung getroffen hat. Mehr Informationen hatte man zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht. Wenn später noch Informationen eintreffen, dann kamen diese zu spät. Wenn sich die Voraussetzungen dadurch signifikant ändern, dann gibt es immer die Möglichkeit, eine Entscheidung anzupassen.
Qualität von Entscheidungen
Im Moment des Entscheidens ist die Entscheidung aus Sicht der Person, die entschieden hat, erst mal per Definition gut. Schließlich wurde abgewogen und nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Welche Folgen die Entscheidung hatte, lässt sich erst mit einem Blick zurück aus der Zukunft beurteilen. Ich empfehle Milde walten zu lassen. Wie gesagt: Man hat ja damals im Rahmen des Möglichen die beste Entscheidung getroffen. Wenn diese dann Folgen hat, die man nicht vorhergesehen hat, dann sollte man das als Lernchance begreifen und als nichts anderes. Das gilt nicht nur für die eigenen Entscheidungen, sondern auch für alle anderen. Wenn man die Gründe für eine Entscheidung nicht kennt, dann sollte man sie sich erklären lassen, bevor man die Entscheidung bewertet.
Mit der Entscheidung beginnt das Change Management
Wenn man sich für etwas entscheidet, dann entscheidet man sich gegen etwas anderes. Damit gilt es einen Umgang zu finden. Man kann es nicht allen recht machen. Man kann nur versuchen, für die meisten, die von einer Entscheidung betroffen sind, einen besseren Zustand herzustellen. Was „besser“ bedeutet, entscheidet aber jeder selbst.
Es wird also bei jeder Entscheidung zwei Gruppen geben: Die, die sich darüber eher freuen und die, die sich eher ein anderes Ergebnis gewünscht hätten. Das lässt sich nicht vermeiden. Es ist nicht verboten, die „Verlierer“ von der Qualität der Entscheidung zu überzeugen und man kann sich auch mal dafür entscheiden, den einen oder anderen im Regen stehen zu lassen. Change Management ist eine höhere Kunst.
Wenn die Entscheidung einigermaßen transparent gemacht und gut erklärt wurde, gibt es meistens auch gar nicht so viele, die ernsthafte Probleme damit haben. Die meisten Menschen sind in der Lage Entscheidungen zumindest zu akzeptieren und danach zu handeln, selbst wenn sie sich eine andere Entscheidung gewünscht hätten.
Ironischerweise trifft man auch eine Entscheidung, wenn man versucht sich nicht zu entscheiden. Nämlich für Richtungslosigkeit und Unklarheit. Das ist ein unguter Zustand für die meisten von denen, die von einer Entscheidung betroffen sind. Die Entscheidung für Unentschiedenheit ist also zu vermeiden, weil man tendentiell alle unglücklich macht und nicht nur den kleineren Teil der Stakeholder.
Wenn man sich aktiv dafür entscheidet, keine Entscheidung zu treffen und abzuwarten, dann ist das OK. Aber nur, wenn man es auch so kommuniziert.
Ballistisches Verhalten
Man sollte zu seinen Entscheidungen stehen und nicht das berühmte Fähnlein im Wind sein. Ein einmal eingeschlagener Weg sollte weiter beschritten werden. Permanente Richtungswechsel führen zu Umwegen, Mehraufwand und Unzufriedenheit.
Es ist jedoch extrem wichtig, auch nicht zu sehr auf den getroffenen Beschlüssen zu bestehen. Man spricht von ballistischem Verhalten, wenn einem — wie einer Gewehrkugel — die Fähigkeit fehlt, die eingeschlagene Richtung zu ändern.
Hierzu ein Beispiel: Ein paar Freunde planen eine Hochtour am Wochenende. Es ist schönstes Wetter vorhergesagt. Am Abend vorher werden die Rucksäcke gepackt, die Ausrüstung gecheckt und Proviant vorbereitet. Damit der Schnee am Gletscher nicht zu weich und der Aufstieg damit zu anstrengend, fahren sie um vier Uhr früh los. Im Auto, kurz vor dem Startpunkt der Tour, hören sie die neueste Wettervorhersage: Für den frühen Nachmittag werden schwere Gewitter vorhergesagt. Was sollten unsere Freunde nun machen? Zur Tour aufbrechen, weil so viel Aufwand in die Vorbereitung geflossen ist? Oder vielleicht doch lieber abbrechen und im weniger gefährlichen Gelände wandern gehen, so dass sie am Mittag zurück sind?
Im Unternehmensalltag sind Entscheidungen meist weniger lebensbedrohlich als eine Bergtour im ausgesetzten Gelände bei Unwetter. Dennoch sind Entscheidungen nicht in Stein gemeiselt. Die teure Software bewährt sich nicht im realen Einsatz? Dann sucht man halt eine neue. Zukünftige Kosten können ein Grund für die Entscheidung sein, die zweitbeste Lösung zu akzeptieren. Nicht jedoch in der Vergangenheit entstandene Kosten. Wer wirft dem schlechten Geld schon gern gutes hinterher?
Wer?
Muss eigentlich immer alles die Führungskraft entscheiden? Bloß nicht. In früheren Blogposts habe ich schon kurz über das Thema Empowerment geschrieben. Entscheidungen sollten nach dem Subsidiaritätsprinzip durchgeführt werden. Das bedeutet, dass die in der Hierarchie niedrigste Instanz, die die Kompetenzen zur Entscheidung besitzt, diese auch treffen sollte. Die Delegationsstufen für die relevanten Bereiche können im Team abgestimmt werden, um Klarheit herzustellen und nicht für jede Entscheidung neu nachdenken zu müssen. Hierbei kann zum Beispiel Delegation Poker helfen. Am besten ist es, wenn man die Delegationsstufen regelmäßig überprüft. Im Allgemeinen verschieben sie sich in Richtung Team, wenn dort das Selbstvertrauen steigt.
Wähle den richtigen Zeitpunkt
Ich habe schlechte Neuigkeiten: Man handelt bei weitem nicht so rational, wie man denkt. Die Fähigkeit zu entscheiden wird durch viele Faktoren beeinflusst.
- Zeitdruck
- Hunger
- Müdigkeit
- Emotionaler Zustand
Richter urteilen zum Beispiel vor ihrer Mittagspause härter als danach. Das hat eine Studie von Shai Danziger von der Ben Gurion Universität und Jonathan Levav von der Columbia University nachgewiesen.
Wenn eine wichtige Entscheidung ansteht (Siehe Recyclinganteil im Druckerpapier), dann sollte man sich seinen Zustand bewusst machen. Konsequenterweise verschiebt man die Entscheidung, wenn die Bewertung schlecht ausfällt.
Unterm Strich
Wer wichtige Entscheidungen trifft, der tut gut daran das bewusst zu tun und folgende Dinge vorher zu bedenken:
- Liegt die Entscheidung bei der richtigen Person / Gruppe?
- Ist die Vorbereitung angemessen?
- Werden alle Betroffenen gut informiert?
- Gibt es Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen?
Im Alltag ist das nicht einfach, aber lohnenswert. Slow is smooth and smooth is fast.