
Vor einigen Jahren hat ein ehemaliger Chef meinem Team vorgeworfen, wir würden uns immer nur in der Komfortzone aufhalten. Das Team und ich haben uns in diesem Moment ziemlich angegriffen gefühlt. So richtig komfortabel war unsere Arbeit damals nämlich nicht. Wir haben auf einer… sagen wir es mal freundlich… gewachsenen Codebasis mit veralteten Tools gearbeitet und versucht dabei noch möglichst marktgerechte Features zu entwickeln. Und das in einem Affenzahn.
Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er gar nicht mal so falsch lag mit seiner Einschätzung. Jedoch war seine Kommunikation damals nicht geeignet, uns dazu zu bringen, die Komfortzone zu verlassen. Dazu später mehr.
Das Dreizonenmodell
Das Dreizonenmodell beschreibt, die drei Bereiche, in denen wir uns aufhalten können.

Die Komfortzone ist unser Rückzugsgebiet. Dort können wir zur Ruhe kommen und uns erholen. Wenn wir uns zu lang in der Komfortzone aufhalten, kann es sein, dass sich das Verlassen dieser nicht gut anfühlt und sogar körperliche (Stress-) Symptome hervorruft.
Sobald wir uns verändern wollen, müssen wir sie jedoch verlassen. Am besten gelingen Veränderungen in der Lernzone. Dort stehen wir unter leichter Anspannung, die aber oft sehr positiv empfunden wird. Eine Art freudige Erregung, die entsteht, wenn wir etwas neues lernen und Veränderung gelingt. Dennoch ist es dauerhaft anstrengend, sich in der Lernzone aufzuhalten. Das eine oder andere Päuschen in der Komfortzone ist für ein Leben im Gleichgewicht sehr zu empfehlen.
Die dritte Zone ist die Panikzone. Hier übersteigen die Anforderungen die Fähigkeiten deutlich. Weiterentwicklung ist hier nicht möglich, da es zu deutlichen Stressreaktionen kommt, die das Handlungs- und Lernvermögen beeinflussen.
Die Übergänge zwischen den Zonen sind fließend. Am Rand der Komfortzone besteht also schon die Möglichkeit der Weiterentwicklung und auch unter größerem Stress ist es noch möglich, Dinge zu lernen.
Nicht verwechseln
Letztendlich gebe ich meinem ehemaligen Chef Recht. Mein Team und ich haben in der Komfortzone vor uns hingearbeitet und waren trotzdem gestresst. Der Stress wurde aber nicht durch Lernen verursacht, sondern durch einfache Überlastung. Diese wurde auch durch unsere alten Tools und den an einigen Stellen schwer zu verstehenden Code verursacht. Wir haben nicht verstanden, was er meinte und er konnte es uns nicht vermitteln.
Unsere Komfortzone war unser lang eingeschliffener Entwicklungsprozess mit unseren alten, unmodernen Tools, die wir aber aus dem Effeff bedienen konnten. Wir haben uns nicht getraut, etwas zu verändern, weil wir den Aufwand gescheut haben und nicht wussten, ob uns die Veränderung gelingt. So haben wir uns darauf zurückgezogen, dass wir doch Features entwickeln müssen und keine Zeit haben, uns um Tools, Refactoring und Prozess zu kümmern. Außerdem war sicher auch ein bisschen Stolz im Spiel. Wir sind schließlich hervorragende Entwickler, die wirklich guten Code schreiben. Unser Produkt hat Zertifizierungen auf dem höchsten erreichbaren Level für diese Produktklasse. Kann ja nicht sein, dass wir uns vor irgendetwas fürchten.
Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen. Das Team hat neue Tools und einen modernisierten Entwicklungsprozess. Irgendwann war die Veränderung unumgänglich, da die Tools abgekündigt waren und nicht weiterentwickelt wurden. Am Schluss war es nicht so schlimm. Aufräumen und Ausmisten hat sogar Spaß gemacht und es fühlt sich echt gut an, mit modernen Tools zu arbeiten.
Nach der Veränderung ist vor der Veränderung
Irgendwann ist dann aber auch der neue Prozess alt. Es gibt wieder bessere Tools, die das Leben leichter machen könnten. Wäre echt super, wenn die letzte Veränderung nicht so lange her war, dass sich niemand mehr daran erinnert, wie gut es sich angefühlt hat, zu neuen Ufern aufzubrechen.
So schwierig es auch ist, Personen und Teams brauchen Übung darin, ihre Komfortzone zu verlassen. Und wenn die Führungskraft noch so nervig ist, die Weiterentwicklung und kontinuierliche Verbesserung fordert: Am Schluss hat sie Recht.
Allerdings tun Führungskräfte gut daran, genau zu überlegen, wie sie ihren Mitarbeiter*innen die Notwendigkeit zur Veränderungen nahe bringen und das Lernen fördern. Nur zu fordern, dass das nun zu geschehen hat, bringt nicht viel. Das zeigt mein Beispiel und viele viele andere. Damit es gelingt, die Komfortzone regelmäßig zu verlassen und neues zu lernen braucht es
- Zeit für Verbesserung
- Wertschätzung von Fehlern
- Gute Kommunikation
- Wiederholung
Und wenn noch so viel zu tun ist…
… so ist es doch unumgänglich, den Mitarbeiter*innen, von denen man Leistung verlangt, auch mal Zeit zum Durchschnaufen zu verschaffen. Wenn Personen und Teams langfristig unter Stress stehen, dann fehlt ihnen einfach die Kapazität, ihre Komfortzone zu verlassen und sich weiterzuentwickeln. Lernen verursacht positiven Stress und dieser bindet geistige (und körperliche) Ressourcen.
Die Ausweitung der Komfortzone
Alles was einfach wirkt, war mal schwer. Je mehr man sich in der Lernzone aufhält, desto größer wird die Komfortzone. Auch der Weg in die Lernzone wird einfacher. Die Panikzone rückt in immer weitere Ferne.
Weiterentwicklung lohnt sich also. Wenn es sich zu schwer anfühlt, die Komfortzone zu verlassen, dann ist der beste Weg, klein anzufangen. Such Dir etwas aus, was sich nicht zu unkomfortabel anfühlt und steigere Dich langsam. Schon allein die Erkenntnis, dass Du das möchtest, ist übrigens ein toller erster Schritt. Wenn die Veränderung nicht gelingt, gibt es immer die Möglichkeit sich coachen zu lassen 🙂